3. Schreibtalent ist für die meisten Jobs unwichtig
Nichts überzeugt mehr als beeindruckende Arbeitsproben. Aber was sollen Bewerber für eine Lokführerausbildung mehr vorlegen als den Lebenslauf? Braucht eine Bäckereifachverkäuferin rhetorische Raffinesse im Schriftlichen? Ein Gärtner? Was ist mit einer Tierärztin?
Ja, Redenschreiber sollten das draufhaben, Juristen sollten überzeugend formulieren können, aber selbst spitzenmäßige Softwareprogrammiererinnen, Webdesigner und Molekularbiologen brauchen nicht das Talent für mitreißende Begrüßungstexte. Weg damit.
4. Anschreiben sind ein Bewerbungshindernis
In Zeiten, in denen Firmen sich auf dem leergefegten Arbeitsmarkt um gute Fachleute reißen, sollten die Hürden für die Bewerbung so niedrig sein, dass keine Handbreit drunter passt. Dazu zählt nicht nur, schlanke Bewerbungstools anzubieten (statt etliche Dokumente in vorgegebener Reihenfolge aneinander geflanscht als PDF per E-Mail anzufordern), sondern auch, den Interessenten lästige Formalitäten zu ersparen.
Gönnen Sie den Bewerberinnen und Bewerbern ihre günstige Position in Zeiten des Fachkräftemangels und machen Sie sich klar: Heutzutage bewerben sich Firmen um Bewerber. Also machen Sie sich sexy, indem Sie es den anderen einfach machen. Ohne sinnlose Anschreiben.
Was stattdessen?
Die Tradition mit dem Anschreiben war der gescheiterte Versuch, den Bewerberinnen und Bewerbern Persönliches zu entlocken: von Mentalität bis Motivation. Der Aufwand beim Schreiben und Lesen des Ganzen lässt sich viel kompakter und aufschlussreicher gestalten. Indem die Firmen um die Beantwortung konkreter Fragen bitten.
Statt potenzielle Projektleiter (m/w/d) schreiben zu lassen, wo sie die Anzeige gefunden haben und dass sie sich freuen, bitten Sie sie: „Schreiben Sie uns in bis zu fünf prägnanten Sätzen: Was macht Ihren Führungsstil aus?“
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Bewerber im Zoofachgeschäft fragen Sie: „Welche Rolle spielen Haustiere bislang in Ihrem eigenen Leben? Welche Erfahrungen erhoffen Sie sich darüber hinaus von einem Job als Verkäufer*in bei uns?“
Fragen Sie danach, was die Leute an Ihrer Firma besser finden als an der Konkurrenz, was Ihre Produkte emotional bei ihnen auslösen, was die Motivation war, den Beruf zu erlernen, was der größte Erfolg war und wie der gefeiert wurde und und und.
Hier bekommen Sie bereits persönliche, emotionale und damit aufschlussreiche Infos über die Menschen, mit denen Sie vielleicht über Jahre zusammenarbeiten werden. Die Bewerbung liefert so bereits Erkenntnisse, die bislang meist erst im Vorstellungsgespräch erlangt worden wären.
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Und: Erstellen Sie einen knackigen, aber detailreichen Kriterienkatalog für die schriftliche Bewerbung. In Ländern des englischen Sprachraums ist es bereits Usus und auch hier bei uns wird es immer geläufiger: Die Statements zu den Auswahlkriterien (Selection Criteria Statement). Ein Fragenkatalog, mit dem die Anbieter der offenen Stelle abklopfen: Warum wir, warum speziell diese Aufgabe, warum überhaupt, können Sie dies, dies, dies und jenes?
Das Gute ist: Hier können ganz konkrete Anforderungen direkt abgefragt werden, die im Anschreiben sonst gerne unter den Tisch fallen gelassen würden (etw. Fremdsprachenkenntnisse). Wer weist schon von sich aus gerne auf Kompetenzlücken hin?
Bewerber*innen sehen so direkt, was von ihnen im Detail erwartet wird und können sich dazu verhalten (etwa auch, indem sie auf vergleichbare Qualifikationen hinweisen.)
Und vor allem: Niemand muss mehr schreiben, was niemand lesen will.
Die Verantwortlichen in Unternehmen sind hier am Zug. Weg mit dieser einen Seite voller Floskeln aus einer lange vergangenen Zeit, in der man die man auf die besseren Ideen noch nicht gekommen war.
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